OLG Braunschweig: "Nachtrunk" befreit Versicherung von Leistungspflicht
LG Braunschweig, 07.05.2020, 7 O 599/17
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Kommt es zu einem Unfall, ist eine KFZ-Versicherung darauf angewiesen, von ihrem Versicherungsnehmer umfassend über den Hergang informiert zu werden. Verstößt der Versicherungsnehmer gegen diese Obliegenheit, kann dies im Einzelfall dazu führen, dass die Versicherung von ihrer Leistungspflicht befreit ist. Eine solche Konstellation lag dem 11. Zivilsenat des OLG Braunschweig als Berufungsinstanz zur Entscheidung vor.
Der klagende Versicherungsnehmer fuhr mit seinem Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von ca. 20 km/h gegen eine Laterne. Er wartete nicht an der Unfallstelle, sondern begab sich zu dem nahegelegenen Haus seiner Eltern. Seine Eltern nahmen die Polizeibeamten am Unfallort in Empfang. Die von der Polizei ca. 1,5 Stunden nach dem Unfall entnommene Blutprobe des Klägers wies 2,79 Promille auf. Der Kläger behauptete, nach dem Unfall 0,7 l Wodka getrunken und sich schlafen gelegt zu haben. Mit seiner Klage begehrte er den Ersatz der an seinem Fahrzeug entstandenen Schäden sowie die Zahlung der Reparaturkosten für die Laterne. Die beklagte Versicherung lehnte dies aufgrund der erheblichen Alkoholisierung des Klägers ab. Den behaupteten "Nachtrunk" erachtete sie nicht als plausibel.
Das LG Braunschweig wies die Klage ab. Es sei aufgrund des gesamten Akteninhalts und der erhobenen Beweise von einer alkoholbedingten absoluten Fahruntüchtigkeit des Klägers im Zeitpunkt des Unfalls auszugehen. Nach den vereinbarten Versicherungsbedingungen bestehe danach kein Versicherungsschutz. Der Kläger legte gegen diese Entscheidung Berufung mit der Begründung ein, der seitens des Gerichts bestellte Gutachter habe letztendlich nicht ausschließen können, dass der Kläger im Zeitpunkt des Unfalls nüchtern gewesen sei.
Der Senat sah hingegen keine Veranlassung weiter aufzuklären, ob der Kläger das Fahrzeug alkoholisiert geführt habe, oder aber ob der hohe Blutalkoholwert auf einen "Nachtrunk" zurückzuführen sei. Vielmehr sei zu berücksichtigen, dass der Kläger aufgrund des geltenden Versicherungsvertrages nebst den allgemeinen Versicherungsbedingungen nach Eintritt eines Versicherungsfalles verpflichtet ist, alles zu tun, was der Aufklärung des Schadens dient. Die Auskunftspflicht erschöpft sich dabei nicht nur in der bloßen Weitergabe von Informationen, sondern erfasst auch das Verhalten des Versicherten am Unfallort. Danach obliegt es dem Versicherten, den Unfallort nicht zu verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen zum Beispiel zum Drogen- und Alkoholkonsum des Fahrers zu ermöglichen. Der Versicherer muss die Möglichkeit haben, sämtliche mit dem Schadensereignis zusammenhängenden Tatsachen, aus denen sich gerade auch eine Leistungsfreiheit ergeben könnte, zu überprüfen. Dies hat der Kläger mit seinem behaupteten Nachtrunk vereitelt. Eine verlässliche Bestimmung der Blutalkoholkonzentration zum Unfallzeitpunkt, die in diesem Fall am Unfallort routinemäßig zu erwarten gewesen wäre, war nicht mehr durchführbar.
Nachdem der Senat den Kläger am 28.02.2022 auf seine tatsächliche und rechtliche Bewertung hingewiesen hatte, hat der Kläger seiner Berufung gegen das landgerichtliche Urteil zurückgenommen.
Urteil des LG Braunschweig vom 07.05.2020, Az.: 7 O 599/17
Quelle: Pressemitteilung des OLG Braunschweig vom 26.04.2022



LAG Berlin-Brandenburg, 23.02.2022, 23 Sa 1254/21
Pfändbarkeit-Insolvenz

Nach der aktuellen am 27.04.22 veröffentlichten Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg sind die tariflichen Corona-Prämien im Bereich des regionalen Nahverkehrs für die Jahre 2020 und 2021 kein unpfändbares Arbeitseinkommen und können unter Beachtung der Pfändungsfreigrenzen gepfändet werden.
Ein Omnibusfahrer im Personennahverkehr hat im Rahmen eines Insolvenzverfahrens über sein Vermögen die pfändbaren Anteile seines Arbeitseinkommens an die Insolvenzverwalterin abgetreten. Seine Arbeitgeberin zahlte an ihre Beschäftigten im Jahr 2020 und 2021 eine tarifvertraglich geregelte Corona-Prämie. Voraussetzung für die Zahlung ist nach der tarifvertraglichen Regelung ein bestehendes Arbeitsverhältnis an einem bestimmten Stichtag und ein Anspruch auf Arbeitsentgelt an mindestens einem Tag in einem festgelegten Referenzzeitraum. An den Omnibusfahrer zahlte sie einen Teil der Prämie unter Hinweis auf die Pfändung und eine deshalb bestehende Verpflichtung zur Zahlung an die Insolvenzverwalterin nicht aus. Mit seiner Klage hat der Omnibusfahrer die vollständige Auszahlung der Corona-Prämien an sich verlangt und geltend gemacht, die Corona-Prämie gehöre nicht zum pfändbaren Arbeitseinkommen.
Das LAG hat entschieden, die Arbeitgeberin habe zu Recht den pfändbaren Teil der tariflichen Corona-Prämien nicht an den Omnibusfahrer ausgezahlt. Die tariflichen Corona-Prämien seien kein unpfändbares Arbeitseinkommen im Sinne von § 850a Zivilprozessordnung. Es handle sich insbesondere um keine unpfändbare Gefahren- oder Erschwerniszulage oder Aufwandsentschädigung in diesem Sinne. Dies ergebe sich aus der Ausgestaltung der tariflichen Regelung. Diese unterscheide nicht danach, in welchem Maße die Beschäftigten aufgrund der Corona-Krise besonderen Belastungen ausgesetzt seien, vielmehr sollten hier alle Beschäftigten unabhängig von den Umständen der Arbeitsleistung gleichermaßen von der Prämie profitieren. Insofern handle es sich um eine andere Regelung als beispielsweise die Prämien im Pflegebereich nach § 150a SGB XI, bei denen es für Zahlungsansprüche darauf ankomme, in welchem Maße eine direkte Betreuung von Pflegebedürftigen erfolgt sei.
Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 23.02.2022, Az.: 23 Sa 1254/21
Quelle: Pressemitteilung Nr. 9/2022 des LAG Berlin-Brandenburg vom 25.04.2022


Aktuelle Entscheidung des BGH (27.04.2021): 


Unwirksamkeit von Klauseln, die die Zustimmung des Kunden bei einer Änderung der AGB der Bank fingieren...

BGH, 28.04.2021, XI ZR 26/20:


Der Kläger ist der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände, der als qualifizierte Einrichtung nach § 4 UKlaG eingetragen ist. Die beklagte Bank verwendet in ihrem Geschäftsverkehr mit Verbrauchern Allgemeine Geschäftsbedingungen, die Klauseln enthalten, die im Wesentlichen den Nr. 1 Abs. 2 AGB-Banken und Nr. 2 Abs. 1 bis 3 AGB-Sparkassen bzw. den Nr. 12 Abs. 5 AGB-Banken und Nr. 17 Abs. 6 AGB-Sparkassen entsprechen. Danach werden Änderungen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen den Kunden spätestens zwei Monate vor dem vorgeschlagenen Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens in Textform angeboten. Die Zustimmung des Kunden gilt als erteilt, wenn er seine Ablehnung nicht vor dem vorgeschlagenen Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Änderungen angezeigt hat. Auf diese Genehmigungswirkung weist ihn die Bank in ihrem Angebot besonders hin. Der Kunde hat die Möglichkeit der Kündigung. Der Kläger hält die Klauseln für unwirksam. Er begehrt mit seiner Klage, der Beklagten bei Meidung von Ordnungsmitteln aufzugeben, es zu unterlassen, die Klauseln in Verträge mit Verbrauchern einzubeziehen und sich auf die Klauseln zu berufen.

Das LG hat die Klage, mit der der Kläger in erster Instanz außerdem noch die Erstattung von Abmahnkosten nebst Rechtshängigkeitszinsen verlangt hat, abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers, mit der er sein Klagebegehren mit Ausnahme seines Zahlungsantrags weiterverfolgt hat, zurückgewiesen.

Der BGH hat auf die Rechtsmittel des Klägers das Berufungsurteil aufgehoben und die beklagte Bank nach Maßgabe der in zweiter Instanz gestellten Anträge verurteilt. Die Klauseln unterliegen vollumfänglich der AGB-Kontrolle. Das gilt auch, soweit sie Zahlungsdiensterahmenverträge erfassen. § 675g BGB sperrt die Anwendung der §§ 307 ff. BGB nicht. Das folgt aus dem Unionsrecht (vgl. EuGH, Urteil vom 11.11.2020, Az.: C-287/19 - "DenizBank"), dessen Umsetzung § 675g BGB dient und der in diesem Sinne unionsrechtskonform auszulegen ist. Die Klauseln, die so auszulegen sind, dass sie sämtliche im Rahmen der Geschäftsverbindung geschlossenen Verträge der Beklagten mit ihren Kunden wie etwa auch das Wertpapiergeschäft und den Sparverkehr betreffen, halten der eröffneten AGB-Kontrolle nicht stand.

Nr. 1 (2) der AGB der Beklagten betrifft alle Änderungen "dieser" Geschäftsbedingungen, also der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die zugleich mit Nr. 1 (2) AGB vereinbart werden, und Änderungen (künftiger) "besonderer Bedingungen" für einzelne gesondert vereinbarte Geschäftszweige, die das gesamte Tätigkeitsspektrum der Beklagten umfassen. Sie betrifft nicht nur Anpassungen von einzelnen Details der vertraglichen Beziehungen der Parteien mittels einer fingierten Zustimmung des Kunden, sondern ohne inhaltliche oder gegenständliche Beschränkung jede vertragliche Änderungsvereinbarung. Damit weicht sie von wesentlichen Grundgedanken der § 305 Abs. 2, § 311 Abs. 1, §§ 145 ff. BGB ab, indem sie das Schweigen des Verwendungsgegners als Annahme eines Vertragsänderungsantrags qualifiziert. Diese Abweichung benachteiligt die Kunden der Beklagten unangemessen nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB. Eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners des Verwenders wird vermutet, wenn eine klauselmäßige Abweichung von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung gegeben ist. Die allgemeine Änderungsklausel bietet eine Handhabe, unter Zuhilfenahme einer Zustimmungsfiktion im Falle einer fehlenden fristgerechten Ablehnung das Vertragsgefüge insgesamt umzugestalten. Dass "vereinbarte" Änderungen ihrerseits der Ausübungskontrolle unterliegen, gleicht diesen Umstand nicht aus. Für so weitreichende, die Grundlagen der rechtlichen Beziehungen der Parteien betreffende Änderungen, die dem Abschluss eines neuen Vertrags gleichkommen können, ist vielmehr ein den Erfordernissen der § 305 Abs. 2, § 311 Abs. 1, §§ 145 ff. BGB genügender Änderungsvertrag notwendig.

Auch Nr. 12 (5) der AGB der Beklagten hält einer Inhaltskontrolle nicht stand. Die Klausel betrifft Entgelte für Hauptleistungen. Damit benachteiligt die Klausel auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass keine einseitige Anpassungsbefugnis der Beklagten besteht, sondern Änderungen des Vertragsverhältnisses nur im Wege eines - gegebenenfalls fingierten - Konsenses zustande kommen sollen, die Kunden der Beklagten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen (§ 307 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB). Mittels Zustimmungsfiktion kann die vom Kunden geschuldete Hauptleistung geändert werden, ohne dass dafür Einschränkungen vorgesehen sind. Die Beklagte erhält damit eine Handhabe, das Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung erheblich zu ihren Gunsten zu verschieben und damit die Position ihres Vertragspartners zu entwerten. Für solche weitreichenden, die Grundlagen der rechtlichen Beziehungen der Parteien betreffenden Änderungen ist, wie oben ausgeführt, ein den Erfordernissen der § 305 Abs. 2, § 311 Abs. 1, §§ 145 ff. BGB genügender Änderungsvertrag notwendig. Eine Zustimmungsfiktion im Falle einer fehlenden fristgerechten Ablehnung reicht hierfür unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Verwendungsgegners nicht aus.

Urteil des BGH vom 28.04.2021, Az.: XI ZR 26/20

Quelle: Pressemitteilung Nr. 88/2021 des BGH vom 27.04.2021  Vorinstanzen:

  • LG Köln, Urteil vom 12.06.2018, Az.: 21 O 351/17
  • OLG Köln, Urteil vom 19.12.2019, Az.: 12 U 87/18



Aktualisierung vom 16.01.2020:

Erweiterte Nutzungspflichten im elektronischen Mahnverfahren:

Anträge und Erklärungen, für die maschinell bearbeitbare Formulare eingeführt sind, dürfen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte nur noch in maschinell lesbarer Form übermitteln. Auch für den Widerspruch gegen einen Mahnbescheid wurden Formulare eingeführt. Für den Widerspruch gilt diese Pflicht ab dem 01.01.2020, wobei eine Übersendung im sog. Barcode-Verfahren noch bis zum 31.12.2021 gestattet ist. 

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